Mittwoch, 5. Januar 2011
Oper im Kino: Der Freischütz
Zur Zeit läuft in den Kinos ein neuer Opernfilm: „Der Freischütz“ nach Carl Maria von Weber.
Ich mag diese Oper sehr, die Musik ist wunderbar und die Szene in der Wolfsschlucht gehört, zusammen mit Don Giovannis Höllenfahrt und dem Terzett Antonia-Mirakel-Stimme der Mutter aus "Hoffmanns Erzählungen" zu den ganz großen dämonischen Augenblicken der Operngeaschichte. Wenn sie denn gut umgesetzt wird, was hier leider nur sehr bedingt der Fall war.
Aber der Reihe nach, zunächst die Besetzung:

Juliane Banse (Agathe)
Michael König (Max)
Regula Mühlemann (Ännchen)
Michael Volle (Kaspar),
Olaf Bär (Kilian)
Franz Grundheber (Ottokar)
Benno Schollum (Kuno)
René Pape: Eremit


Es handelt sich um eine überaus naturalistische Umsetzung: wenn in der Ouvertüre der Wald beschrieben wird, sehen wir einen Wald, wenn es wild und dramatisch wird erleben wird Max und Kaspar im Schlachtgetümmel gegen Napoleons Truppen, wenn es dämonisch wird fährt die Kamera über verlassene Schlachtfelder und tote Soldaten, denn in dieser Verfilmung vermischen sich Krieg und Weltpolitik mit den privaten Geschicken von Max und Agathe. So wird zu den Klängen des Jägerchores der Friedensvertrag unterzeichnet und Europa am Kabinettstisch neu aufgeteilt, tote Soldaten liegen in der Wolfsschlucht ebenso rum wie vor Agathes Fasanen-Schlößchen. Nach einer Weile geht mir der ewige Hinweis darauf daß Krieg schlimm istallerdings gehörig auf die Nerven, denn trotz (oder wegen) einiger Horrorelemente (Greifvögel, die sich am Fleisch der Toten gütlich tun, Kriechtiere in Körperöffnungen in die sie nun wirklich nicht gehören etc.) sind die Bilder nicht schonungslos genug um wirklich zu vermitteln, was Krieg bedeutet und nicht eindringlich genug, die Seele zu berühren. Zumindest ging es mir so, all die toten Soldaten sehen aus wie das, was sie in Wahrheit sind: Komparsen die toter Mann spielen.
Wenn Kaspar dann in der Wolfsschlucht gar einem dieser Komparsen zwecks teuflischem Tun mit einem Fangmesser den Kopf abtrennt und das ganze von unappetitlichen Geräuschen begleitet wird, wirkt das fast schon unfreiwillig komisch...
Da wäre ich dann also schon beim großen Schwachpunkt des Films: ich habe selten eine so aseptische, un-dämonische Wolfsschlucht-Szene gesehen und mich schmerzlich nach über die Bühne gezogenen Wildschweinen aus dem Hause Steiff gesehnt, denn die wären immer noch gespenstischer als das, was uns hier geboten wurde: die Szene spielt nicht im Wald sondern in den Schluchten des Elbsandsteingebirges, was m. E. durchaus passend ist, denn ich habe mir die Wolfsschlucht immer als eine Felsenkluft vorgestellt und weniger als düstere Waldlichtung, aber leider wird hier viel zu viel mit Computeranimation, und noch dazu mit Schlechter, gearbeitet. Computeranimiertes Teufelsfeuer, computeranimierter Totenkopf, computeranimiertes was-auch-immer das zur Musik des Wilden Heers über den Himmel flattert etc. Das nimmt der Szene m. E. jede Schauerromantik, ist aber tricktechnisch auch nicht sooo grandios daß es wenigstens zu einem unpassenden aber begeisterten „Boah ey, Wahnsinn!“ reichen würde...
Wie gesagt: jedes Stadttheater kriegt das gruseliger und grausiger hin.
Die Idee, die Wolfsschlucht als verlassenes Schlachtfeld darzustellen ist nicht neu, aber meiner Meinung nach durchaus passend, nur gehört dazu mehr als ein paar Statisten mit Kunstblut einzusauen und in Uniformen zu stecken. Das Grauen dessen was hier einst geschehen ist und immer noch umgeht, ist leider in keiner Sekunde spürbar.
Auch Kaspar fällt in dieser Szene nicht viel mehr ein als laut rumschreien und sich am Boden wälzen wenn er mit Samiel verhandelt und den Gelassenen spielen sobald Max auftaucht. Schade, schade, schade.
Musikalisch hat mir die Szene jedoch recht gut gefallen, auch wenn es gewöhnungsbedürftig ist, diese Musik begleitet von allerlei Nebengeräuschen und in wechselnder Lautstärke zu hören, aber da dies ein Opernfilm ist und keine abgefilmte Vorstellung gelten hier nun mal andere Gesetze.
Etwas Gutes gibt es dann aber auch in dieser Szene: Samiel kommt nicht mit dröhnender Donnerstimme daher, sondern spricht ganz leise, sein „Hier bin ich“ am Ende der Szene ist fast geflüstert und man spürt, den Pakt mit dem Teufel gehen Kaspar und Max in ihrer Seele ein, denn der Teufel ist in ihrer Seele, in diesem Momente ist dann doch etwas von dem Grauen zu spüren daß ich so bitter vermisst habe.

Zu den Pluspunkten der Verfilmung gehört m. E. die Charakterisierung von Max. Der Max meiner Jugend war Rudolf Schock, und das heißt: der Förster im Silberwald der dummerweise zur Zeit vom Jagdglück verlassen und im Übrigen enervierend brav, fromm und langweilig ist.
Michael Königs Max ist alles andere als ein Förster im Silberwald,
von Beginn an befindet er sich in einem psychischen Ausnahmezustand, der ihn für Kaspars Einflüsterungen erst empfänglich macht.
Dieser Max wird tatsächlich von düsteren Mächten umgarnt und er zerbricht fast an der Frage „Lebt kein Gott?“.
Sein Problem ist wohl auch nicht in erster Linie, daß er nicht trifft (obwohl das in seiner aktuellen Situation natürlich nicht gut ist), sein Problem dürfte darin liegen, daß er in den letzten Jahren viel zu oft und viel zu gut getroffen hat, und nicht nur, was vier Beine oder Flügel hat...
Max ist dem Wahnsinn nahe und Kaspar, der äußerlich hier eher Ruhige, Beherrschte und Vernünftige hat leichtes Spiel.
Ich fand Maxens Charakterisierung sehr eindrucksvoll und ich an Agathes Stelle würde mir ernsthaft überlegen, ob ich so einen heiraten würde...

Michael Volle ist ein beeindruckender Kaspar, der zu Beginn gar nicht so finster daherkommt wie man das manchmal gewohnt ist: wo Max außer sich ist, ist er gelassen, kühl und wirkt im Gegensatz zu Max wohltuend aufgeklärt wenn er von „Naturkräften“ spricht.
In seiner Arie macht er schon sehr eindrucksvoll deutlich daß die „Geister mit Dunkel beschwingt“ auch ihn schon längst umgeben haben, und er singt wirklich gut.
Was mir gefällt: wüsste man nicht, welch Geistes Kind er ist, käme er für Agathe als echte Alternative zu Max in Frage,
da er wirklich ruhiger wirkt als sein doch sehr desolater Jagdgenosse. Was ihn diese Ruhe kostet weiß nur er, und es ist schon eindrucksvoll zu sehen, wie Kaspar, der eben noch in der Wolfsschlucht Freikugeln gegossen und Grausiges getan hat, kurze Zeit später scheinbar gelassen und ruhig im Gefolge des Landesfürsten reitet.

Agathe und Ännchen erleben den Polterabend im Fasanenschlößchen Moritzburg, dessen Schlossgarten offenbar gleichzeitig als Heerlager und Behelfslazarett dient. Wenn Agathe am Hochzeitsmorgen davon singt, daß Gott „aller Wesen liebend wahr“ nimmt, sehen wir einen toten jungen Soldaten, der im Brunnen vor dem Schloß gewaschen und in ein Leichentuch gelegt wird. Das geht mehr zu Herzenals alle toten Komparsen vorher.
Agathe ist sehr typgerecht besetzt, und das heißt: sehr erwachsen und reichlich überspannt. Mehrfach sinkt sie in Ohnmacht, hat quälende Träume von einem sie erschießenden Max und beginnt fast zu hyperventilieren als Max sie kurz vor seinem Aufbruch zur Wolfsschlucht in die Arme schließt. Man weiß nicht genau, ist es Angst oder im Gegenteil die äh...Vorfreude auf kommende eheliche Genüsse...
Agahte hat wunderschöne Musik zu singen (und wundershcön singen tut auch Juliane Banse), dennoch geht mir diese Person ziemlich auf die Nerven mit ihrer ewigen Unkerei und Miesepetrigkeit.
Da ist Ännchen eine wahre Erholung. Regula Mühlemann ist wunderbar in der Rolle: blutjung, sehr, sehr hübsch, charmant und lebhaft und dazu mit einer sehr schönen Stimme beschenkt.
Ich kann Max ja nicht verstehen...
Ännchen ist der fröhliche kleine Kobold dieser Verfilmung der zeigt, daß man tiefgründig, und dennoch heiter sein kann. Sie tut alles um Agathe aufzumuntern du benutzt dazu unter anderem ein Kasperle-Theater das neben einer Bühne sämtliche Figuren die im Freischütz vorkommen als Handpuppen enthält.
Mit diesen Figuren wird zu Beginn des Films, noch vor der Ouvertüre, auch die
Szene dargestellt in der Agathe vom Eremiten die geweihten Rosen erhält.
Ännchen symbolisiert die sprühende Lebensfreude in einer Welt voller gestörter und wohl auch traumatisierter Menschen und es ist eine wahre Freude und Erholung, ihr zuzusehen und zu hören.
Ich hoffe sehr, daß wir von Regula Mühlemann noch hören werden, ich glaube, sie könnte eines Tages eine ganz hinreißende Susanna sein.

Am Ende geht natürlich alles gut aus, dabei sieht es ja zunächst schlecht aus für Max und Agathe, aber dann: Auftritt René Pape.
Was soll ich über ihn sagen, er singt so wunderbar (und verströmt natürliche Autorität) daß man es ihm gar nicht hoch genug anrechnen kann, daß er sich bereit erklärt hat, die kleine und doch so wichtige Rolle des Eremiten zu übernehmen.

Fazit: mir hat der Film gefallen und ich bin froh, ihn gesehen zu haben. Er hat neben den erwähnten Schwachpunkten viele schöne Bilder und ist, soweit ich das beurteilen kann, von guter musikalischer Qualität, auch wenn das Hörerlebnis sich manchmal gewaltig von einer Aufführung im Opernhaus unterscheidet.
Aber ich denke die Suche nach „meinem“ Freischütz geht wohl dennoch weiter. Ich werde wohl weder die DVD noch eine eventuell auf den Markt kommende Aufnahme kaufen und stelle fest, daß ich mal wieder sehr schwer zufrieden zu stellen bin.
Ich denke, ein paar tote Soldaten und etwas Kunstblut weniger dafür aber mehr E.T.A. Hoffmann hätten dem Film gut getan, es fehlt für meinen Geschmack trotz der Bildgewalt doch an Atmosphäre.
Ach ja: im Übrigen scheinen vor allem Max und Kaspar die Segnungen von Wasser, Seife und Shampoo nocht nicht entdeckt zu haben. Das nur am Rande...

http://www.derfreischuetz.film.de/

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