Freitag, 11. Februar 2011
DVD-Tip: G. Verdi - Don Carlo
Vor einigen Wochen habe ich mich näher mit einer meiner Lieblingsopern beschäftigt, Giuseppe Verdis « Don Carlos ». Hier nun ein DVD-Tip dazu.
Es ist ein Tip mit Abstrichen, denn eigentlich kann ich die DVD nicht uneingeschränkt empfehlen, da es in mancher Hinsicht leider gewaltig hapert. Ich tue es dennoch, denn gewisse sängerische Schwächen (vor allem der weiblichen Hauptrolle) werden mehr als wettgemacht durch eine hervorragende Regie und – Rolando Villazón.



Die Besetzung:
Filippo: Robert Lloyd
Don Carlo: Rolando Villazón
Posa: Dwayne Croft
Elisabetta: Amanda Roocroft
Eboli: Violeta Urmana
Großinquisitor: Jaakob Ryhänen
Regie: Willie Decker

In Amsterdam wurde seinerzeit die vieraktige italienische Fassung gespielt, was dem Tenor zwar eine Arie schenkt („Io l’ho perduta“ kommt in der fünfaktigen Version nicht vor) dem Liebespaar aber die einzig glücklichen Augenblicke und uns viel schöne Musik nimmt.
Das Bühnenbild ist sehr spartanisch, und wird im Bühnenhintergrund von einer unüberwindbaren Mauer beherrscht die bei näherem Hinsehen aus vielen (Grab-?)Steinen besteht, die die Namen früherer Könige und Königinnen von Spanien tragen.
Die Oper beginnt hier mit der Vermählung von Filippo und Elisabetta und Carlos’ Verzweiflung darüber. Bereits hier wird die gestörte Vater-Sohn Beziehung und was dahinter steckt thematisiert: Filippo zwingt seinen widerstrebenden und offensichtlich panischen Sohn, das Kreuzzeichen zu schlagen, Elisabetta schreckt davor zurück, ihrem jetzigen Stiefsohn die Hand zu reichen, als fürchte sie, daß die kleinste Berührung des Mannes den sie liebt ihre Selbstbeherrschung und Tapferkeit ins Wanken bringt.
Das grandiose an dieser Inszenierung sind weniger spektakuläre Bilder, die gibt es kaum, als vielmehr eine wirklich durchdachte und stimmige Personenführung. Willie Decker hat sich ganz offensichtlich nicht nur intensiv mit Verdi, sondern ebenso intensiv mit Schiller befasst und darüber hinaus einen Blick auf die historischen Tatsachen geworfen.
Szenisch gibt es nur ein oder zwei wirkliche Ausrutscher, in Erinnerung geblieben ist mir vor allem das Schlußbild der Autodafé-Szene das Carlos in der Haltung des Gekreuzigten zeigt, das war mir persönlich dann doch ein bisschen too much, aber auch ein Willie Decker hat ab und zu einen schwächeren Moment.

Posa (Dwayne Croft) ist buchstäblich und metaphorisch der Mann hinter Carlos, er führt und leitet ihn, er ist es, der nach „Dio che nell’alma...“ eine Tür in der unüberwindbaren Mauer öffnet und Carlos ein Stück leuchtend blauen Himmel zeigt, eine Tür, durch die Carlos nur gehen müsste...
Es ist Posa, der den zögernden Carlos ermutigt, zu Beginn des Autodafé-Bildes auf die ihm (nicht Filippo!) zujubelnde Volksmenge zuzugehen, es ist Posa, der den ungläubigen und (für dieses eine Mal) freudestrahlenden Carlos mit einem „ich-hab’s-dir-doch-gleich-gesagt-Blick“ ansieht als das Volk den Infanten auf den Schultern trägt. Es ist Posa, der Carlos ermutigt, zu tun, was er kurz darauf tut: als der Klerus in prächtigen Gewändern und ein großes Kreuz vor sich hertragend die Szene betritt, schreitet die Volksmenge mit Carlos an ihrer Spitze auf die Geistlichkeit zu, Carlos nimmt den Fassungslosen das Kreuz aus den Händen um es da aufzustellen, wo es hingehört: mitten unter die Geknechteten und Gedemütigten. Angesichts dessen, was auch heute noch überall auf der Welt im Namen welchen Glaubens auch immer geschieht, ein zutiefst bewegendes Bild.
Dwayne Croft klingt leicht indisponiert und irgendwo habe ich gelesen, daß er mit schwerer Erkältung gesungen haben soll und sich hat ansagen lassen. Vor diesem Hintergrund fand ich seine Leistung beachtlich, und ohne Experte zu sein, glaube ich schon, daß er ohne Erkältung ein beeindruckender Posa ist, er hat mir aber auch so, mit gewissen Einschränkungen im Musikalischen wirklich gut gefallen.
Im Duett mit Filippo gibt er alles, und müht sich nach Kräften, Robert Lloyd auf Touren zu bringen, der aber für meinen Geschmack etwas blaß bleibt. Allerdings bin ich da vermutlich etwas unfair, da „mein“ Filippo Ferrucio Furlanetto ist, und mit dem ist er, zumindest an diesem Abend, nicht zu vergleichen.
Zu diesem Filippo ist für mich leider nicht mehr zu sagen, als daß er gut aber nicht spektakulär singt und mich weder zu Begeisterungsstürmen hingerissen noch auf voller Linie enttäuscht hätte.


Die musikalischen Schwächen vor allem der Sopranistin sind enorm, so enorm, daß ich nur annehmen kann, daß sie an dem Abend akut indisponiert war, denn es wäre sträflich und verantwortungslos, eine Sängerin die bereits seit längerem derart massive Probleme hat auf die Bühne zu schicken. Darstellerisch macht Amanda Roocroft als Elisabetta ihre Sache jedoch gut, auch wenn sie definitiv wesentlich älter ist als Carlos und mehr wie seine Mutter wirkt denn wie seine unerreichbare große Liebe.
Darstellerisch ist sie in der Auseinsandersetzung Carlos-Elisabetta wirklich gut, sie schreit ihm ins Gesicht „Bring es zuende, ermorde deinen Vater und führe mit blutigen Händen deine Mutter zum Altar“. Wenn man Oper als MusikTHEATER sieht, packt die Szene schon sehr, auch wenn ihr Part musikalisch wg. der Stimmprobleme nicht immer ein Genuß ist, aber ich habe sie vorher und nachher nie gehört und will wie gesagt annehmen, daß sie entweder einen ganz unglücklichen Abend erwischt, oder zum Zeitpunkt der Aufführung eine heftige Krise durchlitten hat, und in beiden Fällen soll man gnädig mit Künstlern umgehen...

Violeta Urmanas Eboli ist der pure Luxus, sie singt wunderschön, allerdings wird der positive musikalische Eindruck leider ganz erheblich durch den einzigen wirklichen Schwachpunkt der Regie gestört, zu dem ich jetzt kommen muß: die Kostüme. Sie sind fürchterlich und sorgen für manch unfreiwillig komische Situation.
Villazon und Urmana hat es in dieser Hinsicht besonders übel erwischt: er in Weiß mit Beinkleidern die ein Spötter einmal böse aber zutreffend als „Windelhosen“ bezeichnet hat, sie in furchterregendes Schwarz geschnürt, den Busen hochgezurrt.
Wie mein Gatte seinerzeit vor dem Fernseher sagte: „Kein Wunder daß er nicht will, die verfrühstückt ihn ja ohne mit der Wimper zu zucken! Da hätte ich auch Angst...“
Das muntere junge Mädchen das Schiller uns schildert ist diese Eboli nicht, und das ist nicht ihre Schuld. Für die Kostüme gibt es wirklich Punktabzug...

Zum Schluß der Titelheld: jeder weiß es, die Rolle war für Rolando Villazón schon immer gefährlich, dennoch bin ich froh, daß er sie in zwei Produktionen gesungen hat. Dieser Amsterdamer Carlos hat m.E. sehr, sehr viel mit Schillers Vorlage zu tun, die ich hier in zwei Auszügen zitieren möchte:

Ich hasse meinen Vater nicht - Doch Schauer
Und Missethäters-Bangigkeit ergreifen
Bei diesem fürchterlichen Namen mich.
Kann ich dafür, wenn eine knechtische
Erziehung schon in meinem jungen Herzen
Der Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre
Hatt' ich gelebt, als mir zum ersten Mal
Der Fürchterliche, der wie sie mir sagten,
Mein Vater war, vor Augen kam. Es war
An einem Morgen, wo er stehnden Fußes
Vier Bluturtheile unterschrieb. Nach diesem
Sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn
Bestrafung angekündigt ward. - O Gott!
Hier fühl' ich, daß ich bitter werde - Weg -
Weg, weg von dieser Stelle!


Warum von tausend Vätern
Just eben diesen Vater mir? Und ihm
Just diesen Sohn von tausend bessern Söhnen?
Zwei unverträglichere Gegentheile
Fand die Natur in ihrem Umkreis nicht.
Wie mochte sie die beiden letzten Enden
Des menschlichen Geschlechtes - mich und ihn -
Durch ein so heilig Band zusammen zwingen?
Furchtbares Loos! Warum mußt' es geschehn?
Warum zwei Menschen, die sich ewig meiden,
In einem Wunsche schrecklich sich begegnen?
Hier, Roderich, siehst du zwei feindliche
Gestirne, die im ganzen Lauf der Zeiten
Ein einzig Mal in scheitelrechter Bahn
Zerschmetternd sich berühren, dann auf immer
Und ewig aus einander fliehn.


Und mehr muß man eigentlich auch gar nicht sagen, denn genau so ist dieser Carlos: ein schwer traumatisierter junger Mann, der nach wie vor in Angst vor seinem Vater lebt, sich dennoch schmerzhaft nach seiner Liebe oder zumindest Anerkennung sehnt und für den die unglückliche Liebe zu Elisabetta nur ein Teilaspekt seiner Tragödie (und vermutlich nicht einmal der wichtigste) ist.
Wie sehr die Angst und das Entsetzen Carlos’ Leben beherrschen, wird in Posas Sterbeszene deutlich: als Posa tödlich getroffen zu Boden sinkt, verkriecht sich Carlos wie ein entsetztes Kind in eine Ecke seiner Zelle und einige unerträgliche Momente lang fürchtet man, er ließe seinen Freund alleine sterben. Dieser Carlos leidet an soviel mehr als nur daran, daß er das Mädchen nicht bekommt und bewegt sich permanent am psychischen Abgrund. Das hat Decker grandios herausgearbeitet, das hat Villazón musikalisch und szenisch kongenial umgesetzt und das lasse ich mir auch von keinem Stimmenexperten und Schlaumeier dieser Welt ausreden, Stimmkrise hin, selber schuld her.


Hier ein Auszug: Rolando Villazón und Dwayne Croft im Schwurduett.

http://www.youtube.com/watch?v=u9-mqXrQRVM

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