Sonntag, 24. Oktober 2010
"Don Giovanni" im Heimkino
Eigentlich wollte ich heute anfangen über das etwas schwierige Verhältnis zwischen mir und Richard Wagner zu schreiben und darüber, was wir tun um es zu verbessern, aber gestern ist mir ein phänomenaler "Don Giovanni" dazwischen gekommen, so daß Ricahrd I eben noch eine Weile warten muß.
Mein DVD und CD-Dealer hat geliefert und ich bin von der DVD so restlos begeistert, daß ich sie unbedingt ausfürlicher vorstellen muß:


Besetzung:
Don Giovanni: Bryn Terfel
Leporello: Ferruccio Furlanetto
Don Ottavio: Paul Groves
Commendatore: Sergei Kotchak
Donna Anna: Renee Fleming
Donna Elvira: Solveig Kringelborn
Zerlina: Hei-Kyung Hong
Massetto: John Relyea
Dirigent: James Levine
Regie: Franco Zeffirelli

Es handelt sich um eine Aufführung aus dem Jahr 2000 aus der MET. Die MET und Franco Zeffirelli bedeuten: große Ausstattungsoper, traditionelle Regie ohne einen Hauch von Regietheater. Das kann man mögen oder nicht, ich fand es nach all den Giovannis die in den letzten Jahren auf leeren Bühnen oder im grünen Wald zur Hölle gefahren sind überaus angenehm. Wenn Künstler wie Terfel und Furlanetto am Werke sind, hat die Langeweile ohnehin keine Chance, und die Höllenfarht selber war trotz sehr traditioneller Umsetzung um ein vielfaches nervenzerfetzender als bei so manchem Skandalregisseur.
Das Beiheft zur DVD verrät mir, daß sich die amerikanische Presse seinerzeit offenbar vor Begeisterung geradezu überschlagen und alle Beteiligten mit Lob überhäuft hat.
Allen voran den Titelhelden, Terfel habe gesungen "wie ein Engel" und wurde von manchen gar als bester Giovanni seit Cesare Siepi bezeichnet. Ob er das wirklich war kann ich nicht sagen, denn immerhin gab und gibt es eine ganze Reihe ausgezeichneter Interpreten dieser Rolle (außerdem kann ich Terfel ohnehin nicht fair beurteilen, da ich ihm, wie der geneigte Leser dieses Blog vermutlich schon bemerkt hat, sehr ergeben bin...).
Er ist aber ganz ohne Zweifel der dämonischste, ruchloseste Don den ich je erlebt habe. Er mordet mit einem Lächeln auf dem Gesicht, er hält den sterbenden Komtur im Arm und beobachtet dessen Todeskampf mit geradezu obszöner Neugier, er tut die um ein Haar gelungene Vergewaltigung Zerlinas mit einem zynischen Grinsen ab, er ist absolut unfähig zum Mitgefühl mit anderen Menschen, und wer bis dahin nicht begriffen hat was diesen Mann umtreibt, dem geht spätestens bei der Champagner-Arie ein schauerliches Licht auf: Terfels Don steigert sich in eine geradezu manische Raserei, die nichts, aber auch gar nichts mit Lebensfreude und Genuß zu tun hat. Selten habe ich mich aus anderen als musikalischen Gründen derart auf eine Höllenfahrt gefreut...
Daß er optisch nicht wirklich dem Idealbild des angeblich größten Liebhabers aller Zeiten entspricht, stört bei soviel dämonischer Ausstrahlung und sinistrer Sinnlichkeit nicht im Geringsten, ganz im Gegentei: wir haben es hier mit einem Don zu tun, dem man sein ausschweifendes Leben und seine Maßlosigkeit seit geraumer Zeit ansieht. Von dem eleganten Edelmann der er einst war ist nicht mehr viel übrig geblieben.
Terfel zur Seite Ferruccio Furlanatto in einer seiner Paraderollen: dieser Leporello ist nicht nur der geknechtete Diener seines Herrn, sondern macht sich mit ihm auf durchaus unsympathische Weise gemein und ist im Grunde keinen Deut besser als er. Endlich einmal wirkt die Verkleidungsszene nicht völlig albern: dank der gleichen (grauenvollen) Haartracht, einer ähnlichen Figur und dem geschickten hantieren mit Umhängen und Hüten, kommt die Verwechslung zwischen Giovanni und Leporello einigermaßen glaubhaft daher, zumal auf der Bühne tatsächlich das von Mozart vorgeschrieben Halbdunkel herrscht, was ja heutzutage auch keine Selbstverständlichkeit mehr ist...
Nur einmal wird diesem Leporello ganz kurz die Schau gestohlen, und das von Donna Elvira: während der Registerarie reagiert sie so tragisch-komisch, daß es ein bißchen schwer fällt, sich so auf Leporellos Gesang zu konzentrieren wie er es verdient hätte.
Solveig Kringelborn ist eine tolle Elvira, die ständig zwischen hysterischer Wut, schadenfrohem Rachedurst und aufrichtiger Sorge und Liebe hin-und hergerissen scheint.
Der Wandel geschieht, als sie begreift, daß der Don einen Mord auf dem Gewissen hat: jetzt geht es um mehr, als darum, daß ein Mann mit ihr geschlafen und sie dann wie ein Spielzeug weggeworfen hat. Das ist kein schöner Zug vom Don, aber wenn man dafür in die Hölle käme, hätten sie dort bald ein räumliches Problem...
Nein, sie sorgt sich um seine Seele, alle Hysterie ist von der Sängerin abgefallen, und aus irgendeinem Grund den nur er allein kennt, kann Giovanni ein echtes menschliches Gefühl das ihm entgegengebracht wird offenbar nicht ertragen. Er verliert nicht erst die Fassung als der Komtur auftaucht, er verliert sie bereits als Elvira ihn zur Umkehr auffordert. Mir hat diese Donna Elvira sehr gut gefallen, da sie m.E. die richtige Mischung aus Tragik und Komik in die Rolle bringt.
Renee Flemings Donna Anna ist ganz große Dame: edel in ihrer Trauer und ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit fällt sie, anders als Elvira, nie aus der Rolle, sie singt wunderschön und es ist klar, daß sie eines Tages eine friedliche Ehe mit Don Ottavio führen wird. Die immer wieder gern diskutierte Frage, ob da was war zwischen ihr und Don Giovanni oder ob sie sich erotisch von ihm angezogen führt, kann hier mit einem ganz deutlichen "definitiv nicht!" beantwortet werden.
Ihr Don Ottavio ist Paul Groves, der mir gefallen hat, den ich aber nicht außergewöhlnich fand. Er ist treu, ergeben, edel aber gegen die geballte Bühnenpräsenz eines Giovani, gegen Leporellos gerissene Hinterhältigkeit und auch gegen den zu cholerischen Ausbrüchen neigenden Masetto schon ein bisserl fad. Ein Tenor eben... ;-)
Es gehört ein großer Sänger dazu, aus dieser Rolle mehr herauszuholen, mein Favorit ist derzeit Michael Schade, zu dem ich ein andermal kommen werde.
In den Ensembleszenen mit Elvira und Anna hat er mir allerdings sehr, sehr gut gefallen.
Hei-Kyung Hong und John Relyea als Bauernpaar Zerlina und Massetto versprühen Lebensfreude und singen toll. Hei-Kyung Hong ist eine kokette, neugierige Zerlina, die von Giovanni sehr fasziniert ist und mit dem Feuer spielt, umso eindrucksvoller ihr spürbares Entsetzen, als sie sich auf Giovannis Fest mit zerissenen Kleidern, gefesslet und knapp der Vergewaltigung entkommen, weinend in Masettos Arme flüchtet. Massetto ist für einen armen Bauern entschieden zu elegant gekleidet, selbst wenn man bedenkt, daß es sich um seinen Hochzeitstag handelt, ist es schon etwas komisch, daß er stilvoller daher kommt als der Edelmann dessen Gast er ist.

Fazit: mich hat dieser Opernabend vor dem Fernseher gepackt wie lange nichts mehr. Regietheater muß nicht schlecht sein, und traditionelles Theater muß nicht langweilig sein, wichtig ist, daß die Geschichte gut und glaubhaft erzählt wird, und das war hier der Fall.
Die Höllenfahrt will ich nicht beschreiben.
Seht selbst:

http://www.youtube.com/watch?v=Ue72gvJvpi8

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Frau Zerlina, und wenn Sie ihr erschöpfendes Fachwissen zehnmal „nur“ aus ihrer Tätigkeit heraus hätten – ihre Art das zu beschreiben ist wunderbar. Auch wenn ich den Don Giovanni vor Urzeiten schon einmal gesehen habe suche ich schon den ganzen Abend Spielpläne der Region ab und lausche parallel den Musikvideos auf youtube.

Und bitte... ihr Verhältnis zu Wagner interessiert mich brennend! (Dieser von mir höchst geschätze Komponist kommt bei vielen ebenso geschätzen Menschen gar nicht an.. und ich verstehe nicht warum.)

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Wenn ich jemanden dazu bringe, sich wieder einmal Don Giovanni anzusehen, dann hat sich mein Geschreibsel schon gelohnt :-)
Was Wagner angeht: ich habe mich ja jetzt dazu geäußert, aber hinzu kommt wohl noch, daß er bei uns so gut wie nie gespielt wird, und das erschwert den Zugang schon sehr. Denn eigentlich sind CDs und DVDs ja imemr nur die zweitbeste Lösung, es geht nichts über das Liveerlebnis.

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Das stimmt, richtige Bühnenluft ist quasi nicht zu ersetzen. Sie können sich daher ausmalen, wie sehr meine Augen immer noch glühen, nachdem sie am Freitag nicht nur den Figaro sahen...

... sondern auch die Ankündigung, daß am Ort hier Sommer 2011 der ganze Ring, zwar etwas auseinandergezerrt, aber doch komplett gegeben wird. Es lohnt sich scheinbar, bei jedem Besuch „Mehr Wagner, Tschaikowsky und Mahler, bitte!“ auf die Feedback-Karten zu schreiben.

Am 1.1. startet der Vorverkauf. Ich versuche bis dahin eisern zu sparen. (Nur leise beschleichen mich Zweifel... hat unser Haus tatsächlich die Besetzungen für so ein umfangreiches Werk? Bis jetzt ist keine Kooperation mit einer anderen Bühne vermerkt. Und das „Neuinszenierung“ macht ebenfalls ein wenig Sorgen. Hoffentlich wird das nicht zu bunt.)

Vielleicht kann Sie ja ein Ringabend ins Hessische locken? Ich läute auch gerne ein Glöckchen für Papagena ;-)

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Der Ring wäre in der Tat ein Grund...ich lasse mir das durch den Kopf gehen. Vielleicht sollte ich mir das wirklich nicht entgehen lassen, denn hier im Bergischen wird das wohl so schnell nix werden.
Ich bewege es in meinem Herzen!

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