Montag, 14. März 2011
DVD-Tip G. Verdi Don Carlo
Obwohl ich vor ein paar Wochen bereits eine andere Inszenierung dieser Oper empfohlen habe, muß ich mich heute nochmal Giuseppe Verdis "Don Carlo" widtmen und empfehle eine zweite DVD dieses Werkes, das zu meinen absoluten Lieblingsopern gehört.
Don Carlos ist m.E. eine Männeroper, trotz der Liebesgeschichte um Carlos und die unglückliche Königin Elisabetta geht es vor allem um die Beziehungen der Männer zu- und untereinander: die Beziehung zwischen Don Carlo, dem Kronprinzen, und König Filippo, seinem Vater. Eine Beziehung, die geprägt ist von Angst, Verachtung und versteckter Sehnsucht. Die Beziehung zwischen Posa und Carlos, die neben einer persönlichen Freundschaft gemeinsame politische Ziele und Ansichten verbindet, die Beziehung zwischen Posa und Filippo, die Beziehung zwischen Filippo und seinem Großinquisitor. Daher steht und fällt jede Don Carlo-Aufführung mit der Besetzung dieser vier männlichen Rollen, und das ist auch der Grund, warum ich die folgende DVD empfehle:



Besetzung:

Don Carlo: Rolando Villazón
Rodrigo Marquis di Posa: Simon Keenlyside
Filippo: Ferruccio Furlanetto
Elisabetta: Marina Poplavskaya
Eboli: Sonia Ganassi
Dir.: Antonio Pappano
Covent Garden, 2008

Nein, die Inszenierung kann es nicht mit Willi Deckers genialem Don Carlo aufnehmen, den ich hier vor einigen Wochen empfohlen habe, nicht mal in Ansätzen. Und ja: man hört Villazón die Grenzpartie und die Stimmprobleme manchmal erschreckend deutlich an (und mehr als 2004 in Amsterdam), dennoch glaube ich nicht, daß man die männlichen Hauptrollen passender und vor allem rollendeckender besetzen kann als 2008 in London.
Gespielt wurde die fünfaktige italienische Fassung, also mit Fontainebleau-Akt.
Die Inszenierung ist schön anzusehen, aber relativ unspektakulär, die Regie beschränkt sich vor allem auf die unglückliche Liebe von Carlos und Elisabetta, das Eingangs erwähnte Beziehungsgeflecht der männlichen Figuren bleibt weitgehend außen vor. Daß die Aufführung dennoch packt liegt einzig daran, daß ALLE Sänger wirklich gute Darsteller sind und aus der Inszenierung herausholen, was herauszuholen ist.

Rolando Villazón ist für mich, allen Problemen zum Trotz, DER Don Carlo,er hatte alles, was es für diese Rolle braucht: die Musikalität, die düstere, melancholische Ausstrahlung, eine der schönsten Stimmen die je einem Tenor vom lieben Gott in die Kehle gelegt wurde, und eine fast schon unheimliche Rollenidentifikation. Leider kam die Rolle für ihn vermutlich zu früh, und manchmal werden die Probleme geradezu schmerzhaft deutlich. Am Carlos haben sich schon andere die Zähne ausgebissen...und doch...
In einer Besprechung zu einem Liederabend des ewigen Sorgenkindes schrieb der Kritiker vor ein paar Tagen"Welch ein Sänger wäre er geworden, wenn er sich mehr Zeit zum Reifen gelassen hätte". Das kann man nur mit Blut und Tränen unterschreiben...

Es ist lange her, daß ich einen Posa derart ergreifend habe sterben sehen wie Simon Keenlyside, er ist ein hervorragenderPosa, und seine ruhige, manchmal fast etwas spröde Bühnenausstrahlung bildet den idealen Gegenpol zum schwärmerisch-überschwänglichen Carlos von Rolando Villazón. Dieser Carlos baucht jemanden der ihn führt und leitet, und dieser Jemand ist Posa, den Keenlyside m.E. perfekt verkörpert.

Für Ferrucio Furlanettos überragende Leistung fehlen mir buchstäblich die Worte, und weil das so ist, will ich hier nun die Musik zu Wort kommen lassen.

Das Schwurduett Carlo-Posa im 2. Bild:
http://www.youtube.com/watch?v=LN4UKs_EH38

Filippos Arie "Ella giammai m'amo". Man KANN das nicht besser singen und spielen:
http://www.youtube.com/watch?v=pz-3WIQN2Vo

Posas Tod Teil 1:
http://www.youtube.com/watch?v=NUfS-obs1Dc
Posas Tod Teil 2:
http://www.youtube.com/watch?v=K2YPmIoFYbs



Die Damen mögen mir verzeihen, daß ich ihnen hier sowenig Beachtung gechenkt habe, aber die Stärke dieser Auffühurng liegt für moch eindeutig in den drei männlichen Protagonisten.
Marina Poplavskaya als Elisabetta singt um Lichtjahre besser als Amanda Roocroft in Amsterdam und ist optisch eine absolut glaubhafte junge Königin und wirklich gute Darstellerin. Sonia Ganassi ist eine gut singende, aber doch ziemlich harmlose Eboli, kein Vergleich zu dem Vulkan Agnes Baltsa, bei der man absolut verstehen konnte, warum Posa sie für so gefährlich hält, daß er ihr kurzzeitig nach dem Leben trachtet.
Damit zumindest Elisabetta zu ihrem Recht kommt und weil es so schön ist, hier noch ein Ausschnitt aus dem Fontainebleau-Akt, einer der wenigen glücklichen Momente für Held und Heldin:
http://www.youtube.com/watch?v=yke66Bm23zI

... link (0 Kommentare)   ... comment


Donnerstag, 17. Februar 2011
DVD-Tip: J. Massenet -Thais
Wieder einmal ein DVD-Tip, heute geht es um die Oper „Thais“ von Jules Massenet. Ich habe die Vorstellung vor geraumer Zeit in der Liveübertragung aus New York gesehen, und bin inzwischen glückliche Besitzerin der DVD. Mir hat die Aufführung damals sehr gut gefallen, daher will ich die DVD hier vorstellen:


Die Besetzung:
Athanael: Thomas Hampson
Thais: Renee Fleming
Nicias: Michael Schade

Damals im Kino ging gleich zu Beginn der Übertragung ein Raunen durch das Publikum, denn der Gastgeber des Abends war niemand anderes als der Altmeister persönlich:Placido Domingo hat die Interviews in den Pausen geführt und die Oper vorgestellt.
"Thais" wurde an der MET zum letztenmal 1978 gespielt, mit der amerikanischen Sopranistin Beverly Sills in der Titelrolle. Ich kenne sie als meine erste Schallplatten-Gilda.
Da es sehr schwierig zu sein scheint, die beiden Hauptrollen zu besetzen, wird die Oper generell selten gespielt. Bekannt ist vor allem die berühmte "Meditation", ein orchestrales Zwischenspiel, das oft und gerne außerhalb des Opernhauses in Konzert und Gottesdienst aufgeführt wird.
Die Handlung:
Ägypten im 4. Jahrhundert n.C.
Der Mönch Athanael gehört einer urchristlichen Religionsgemeinschaft an und führt mit seinen Glaubensbrüdern ein asketisches Leben in der Wüste.
Er ist besorgt, da er glaubt, daß Alexandria, seine Heimatstadt, in Sünde versinkt. Urheberin ist für ihn die Kurtisane, Tänzerin und Venuspriesterin Thais.
Nach einer Vision glaubt er sich berufen, Thais zum Christentum zu bekehren und zieht gen Alexandria.
Er trifft Thais im Hause seines alten Schulfreundes Nicias, dessen (bezahlte) Geliebte sie zur Zeit ist. Auf einem Fest im Hause Nicias' macht Thais sich zunächst lustig über den Fanatiker, der ihr ihre Sündhaftigkeit und die Leere ihres Lebens ins Gesicht schleudert.
Es gelingt Athanael nach einigen Bemühungen schließlich, Thais zur Umkehr zu bewegen. Sie flieht mit ihm aus Alexandria. Nach einem Marsch durch die Wüste bringt er sie in ein Kloster, in dem Thais für ihre Sünden büßen und fortan leben will.
Zurück bei seinen Mitbrüdern findet Athanael keine Ruhe: er, der seine Körperlichkeit, seine Sexualität immer verleugnet, ja verdammt hat, wird von Visionen gefoltert: er kann Thais Schönheit, ihre erotische Ausstrahlung nicht vergessen.
Als er erfährt, daß Thais nach drei Monaten unentwegter Buße, ohne Schlaf und Nahrung, in ihrem Kloster im Sterben liegt, eilt er fort um sie zu retten. Der sterbenden Thais sagt er, daß er sich geirrt habe, es gäbe keine göttliche Liebe, keinen Himmel, kein ewiges Leben. Das einzige was zähle, sei die irdische Liebe, jene Liebe, mit der Thais ihr Leben verbracht habe. Thais kann ihn im Fieberwahn nicht mehr verstehen, spricht von der gemeinsamen Reise durch die Wüste, von dem, was Athanael für sie getan hat. In ihren letzten Augenblicken sieht sie den Himmel offen. Mit den Worten "Ich sehe...Gott..." stirbt sie, während Athanael gebrochen, verzweifelt, gescheitert, zurückbleibt.
Mir hat die Aufführung damals sehr gut gefallen. Die Inszenierung war nicht übermäßig originell, aber große Regieexperimente sind aus der MET in aller Regel sowieso nicht zu erwarten, und das kann ja auch sein Gutes haben...

Renee Fleming war großartig, sie hat in einem kurzen Gespräch vor Beginn gesagt, das "Thais" eine von etwa vier Rollen ist, bei denen sie das Gefühl hat, daß sie wie für sie geschrieben sind, so perfekt passe sie zu ihrer Stimme.
In der Tat fand ich sie als Thaiswunerbar, ich denke, die Rolle verlangt alles von ihr, was sie stimmlich zu bieten hat: glitzernder, "glamouröser"" Gesang bei ihrem ersten Auftritt, große emotionale Ausbrüche in jener Szene, in der sich ihre Verwandlung zu vollziehen beginnt, berückende Pianopassagen im 2.Teil und am Ende der Oper. Sie hat mir gleich zu Beginn sehr gut gefallen, hat sich aber im Laufe des Abends noch enorm gesteigert. Auch optisch war sie absolut glaubhaft: während sie für eine blutjunge Violetta Valery m. E. eigentlich schon ein bißchen zu reif ist (und das Drama dadurch einen anderen Akzent bekommt als beabsichtigt), ist sie als erfahrene, reife, herausfordernd sinnliche und in allen erotischen Künsten bewanderte Kurtisane umwerfend und man gut verstehen, daß Athanael ihr Bild nicht aus dem Kopf bekommt.

Michael Schade als Athanaels Schulfreund Nicias hat mir gut gefallen: er hat so einfühlsam und schön gesungen wie ich das von ihm gewohnt bin, außerdem mag ich es, daß er seine Rollen oft mit einem Hauch Ironie versieht, so auch hier. Jedoch klang er in den Höhen manchmal ein wenig grell, das habe ich sonst von ihm noch nicht gehört. Im Übrigen habe ich den Eindruck, daß ihm Mozart mehr liegt als Massenet, dennoch: auch er war wirklich hörenswert.

Schade hin, Fleming her, der Star des Abends war für mich Thomas Hampson, allerdings weiß ich, daß nicht wenige Kenner der französischen Oper seinen Gesang unangemessen dramatisch fanden und der Ansicht sind, daß er dem französischen Stil nicht wirklich gerecht geworden ist, allerdings werfen das viele Leute vielen Sängern vor, und es ist die Frage. ob das immer so ganz ernst zu nehmen ist...

Ich kann das jedenfalls nicht wirklich beurteilen und nur sagen, daß ich seine (musikalische und szenische) Interpretation ungeheuer beeindruckend fand. Athanael ist in ca. 95 Prozent aller Szenen auf der Bühne anwesend, davon singt er in Hampsons Interpretation die meiste Zeit laut bis sehr laut und enorm kraftvoll. Nicht, weil Hampson das nicht anders könnte, sondern weil Atahanel ein lauter Mensch ist: ein religiöser Eiferer, ein Fanatiker (Hampson nennt ihn sehr zu Recht "Fundamentalist"), und wie alle Fundamentalisten muß er permantent brüllen um die Menschen von dem zu überzeugen, was er für den rechten Weg, die einzig gültige Wahrheit hält -und um seine eigenen inneren Stimmen und Dämonen niederzuschreien. Es mag sein, daß das musikalische problematisch und stimmlich gefährlich ist, ich fand es allerdings sehr stimmig und glaubhaft ihn so darzustellen. Es gibt für Athanael nur sehr wenige lyrische Momente, einen davon während er mit Thais durch die Wüste wandert und er der völlig Erschöpften Wasser und Obst bringt, um sie zu stärken. Hier gibt es einen leiseren Moment, in dem Athanael sich von einer weicheren, mitfühlenden Seite zeigt.
Einen ähnlichen Augenblick gibt es vorher, als er im Gespräch mit Thais, die panische Angst vor dem Tod und der Vernichtung hat, dieser erzählt, was Gott zu bieten hat, wenn sie Ihm folge: ewiges Leben. Es gibt sie also, Athanaels leise, weiche Seite, aber er läßt sie die meiste Zeit über nicht zu Wort kommen. Es ist wirklich phänomenal wie Hampson diese enorm dramatische, kraftvolle und laute Rolle bewältigt, ohne sie zu zerbrüllen. Zumindest sehe ich das so, aber wie gesagt: ich weiß durchaus, daß manche seine Interpretation problematisch fanden.
Auch darstellerisch hat er mich überzeugt: man merkt diesem Athanael auch körperlich an, daß er ständig unter Strom steht, sich vermutlich nicht mal im Schlaf wirklich entspannt.
Ich will ja nicht geschmacklos werden, aber wenn einer einen Besuch bei einer erfahrenen Kurtisane dringend nötig hätte (und das schon seit Jahren), dann er...
In der Kinoübertragung hat er sich in einer Pause
die Zeit für ein kurzes Interview mit Domingo genommen und unter anderem den traumschönen Satz gesagt, daß er besonders die Charaktere zu spielen liebe, die stets glauben, Gott in der Hand, im Kopf und im Herzen zu tragen, und die doch alles negieren, was seine Schöpfung ausmacht und was Er geschaffen hat. Genauso einer ist Athanael.

Ein besonderer Schwachpunkt der Inszenierung ist leider, leider ausgerechnet die Sterbeszene. Musikalisch ist die Szene wunderschön und Renee Fleming stirbt durchaus ergreifend, aber ein wenig seltsam ist es schon, daß eine Frau die sich drei Monate lang zu Tode gefastet und kaum geschlafen hat wie eine Heiligenstatue auf einem Thron sitzt, eine Designerrobe trägt und von langem, glänzendem, frisch geföhntem Engelshaar umflossen wird:

Das sieht hübsch aus, gibt aber definitiv Abzüge in der B-Note.
Im Originallibretto ist Thais in dieser Szene nackt, es ist die Nacktheit der wiedergefundenen Unschuld, die sich völlig von Thais’ früherer Zurschaustellung ihres Körpers unterscheidet, und es ist jammerschade, daß dies in der Regie nicht zumindest angedeutet wurde

Ich bin sehr froh, daß ich die Gelegenheit genutzt habe, diese selten gespielte Oper zu sehen freue mich, daß die Aufführung jetzt auch auf DVD zu haben ist. Erwähnt werden sollte noch der junge Konzertmeister des Orchesters, der die Solovioline in der "Meditation" traumhaft schön gespielt hat und dafür am Schluß auch vor den Vorhang durfte.

Meditation:
http://www.youtube.com/watch?v=zhFcBGQLehw
Interessant ist, daß Renee Fleming gesagt hat., daß sich während dieser Mediation, einer Szene also, in der Thais nicht auf der Bühne anwesend und der Vorhang geschlossen ist, ihre Wandlung vollzieht und der Solist in der Lage sein müsse, dies in seinem Spiel auszudrücken.
Dis-moi que je suis belle:
http://www.youtube.com/watch?v=WVaQGtkTPHM
Thais' große Arie in der sie verzweifelt versucht, sich gegen die neuen Gefühle zu wehren: sie fleht ihren Speigel an, ihr zu sagen daß sie schön ist, daß sie immer schön sein und niemals altern wird. Und doch sind da ihre inneren Stimmen, ihre Ängste und (wieder einmal) ihre Dämonen: "Thais! Auch du wirst alt. Thais! Auch du vergehst!".

Es sei übrigens darauf hingewiesen, daß auch die großartige Eva Mei eine herausragende "Thais" singt, die ich allerdings bisher nur aus Ausschnitten von Youtube kenne:
http://www.youtube.com/watch?v=hT3P32wpz54be

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 11. Februar 2011
DVD-Tip: G. Verdi - Don Carlo
Vor einigen Wochen habe ich mich näher mit einer meiner Lieblingsopern beschäftigt, Giuseppe Verdis « Don Carlos ». Hier nun ein DVD-Tip dazu.
Es ist ein Tip mit Abstrichen, denn eigentlich kann ich die DVD nicht uneingeschränkt empfehlen, da es in mancher Hinsicht leider gewaltig hapert. Ich tue es dennoch, denn gewisse sängerische Schwächen (vor allem der weiblichen Hauptrolle) werden mehr als wettgemacht durch eine hervorragende Regie und – Rolando Villazón.



Die Besetzung:
Filippo: Robert Lloyd
Don Carlo: Rolando Villazón
Posa: Dwayne Croft
Elisabetta: Amanda Roocroft
Eboli: Violeta Urmana
Großinquisitor: Jaakob Ryhänen
Regie: Willie Decker

In Amsterdam wurde seinerzeit die vieraktige italienische Fassung gespielt, was dem Tenor zwar eine Arie schenkt („Io l’ho perduta“ kommt in der fünfaktigen Version nicht vor) dem Liebespaar aber die einzig glücklichen Augenblicke und uns viel schöne Musik nimmt.
Das Bühnenbild ist sehr spartanisch, und wird im Bühnenhintergrund von einer unüberwindbaren Mauer beherrscht die bei näherem Hinsehen aus vielen (Grab-?)Steinen besteht, die die Namen früherer Könige und Königinnen von Spanien tragen.
Die Oper beginnt hier mit der Vermählung von Filippo und Elisabetta und Carlos’ Verzweiflung darüber. Bereits hier wird die gestörte Vater-Sohn Beziehung und was dahinter steckt thematisiert: Filippo zwingt seinen widerstrebenden und offensichtlich panischen Sohn, das Kreuzzeichen zu schlagen, Elisabetta schreckt davor zurück, ihrem jetzigen Stiefsohn die Hand zu reichen, als fürchte sie, daß die kleinste Berührung des Mannes den sie liebt ihre Selbstbeherrschung und Tapferkeit ins Wanken bringt.
Das grandiose an dieser Inszenierung sind weniger spektakuläre Bilder, die gibt es kaum, als vielmehr eine wirklich durchdachte und stimmige Personenführung. Willie Decker hat sich ganz offensichtlich nicht nur intensiv mit Verdi, sondern ebenso intensiv mit Schiller befasst und darüber hinaus einen Blick auf die historischen Tatsachen geworfen.
Szenisch gibt es nur ein oder zwei wirkliche Ausrutscher, in Erinnerung geblieben ist mir vor allem das Schlußbild der Autodafé-Szene das Carlos in der Haltung des Gekreuzigten zeigt, das war mir persönlich dann doch ein bisschen too much, aber auch ein Willie Decker hat ab und zu einen schwächeren Moment.

Posa (Dwayne Croft) ist buchstäblich und metaphorisch der Mann hinter Carlos, er führt und leitet ihn, er ist es, der nach „Dio che nell’alma...“ eine Tür in der unüberwindbaren Mauer öffnet und Carlos ein Stück leuchtend blauen Himmel zeigt, eine Tür, durch die Carlos nur gehen müsste...
Es ist Posa, der den zögernden Carlos ermutigt, zu Beginn des Autodafé-Bildes auf die ihm (nicht Filippo!) zujubelnde Volksmenge zuzugehen, es ist Posa, der den ungläubigen und (für dieses eine Mal) freudestrahlenden Carlos mit einem „ich-hab’s-dir-doch-gleich-gesagt-Blick“ ansieht als das Volk den Infanten auf den Schultern trägt. Es ist Posa, der Carlos ermutigt, zu tun, was er kurz darauf tut: als der Klerus in prächtigen Gewändern und ein großes Kreuz vor sich hertragend die Szene betritt, schreitet die Volksmenge mit Carlos an ihrer Spitze auf die Geistlichkeit zu, Carlos nimmt den Fassungslosen das Kreuz aus den Händen um es da aufzustellen, wo es hingehört: mitten unter die Geknechteten und Gedemütigten. Angesichts dessen, was auch heute noch überall auf der Welt im Namen welchen Glaubens auch immer geschieht, ein zutiefst bewegendes Bild.
Dwayne Croft klingt leicht indisponiert und irgendwo habe ich gelesen, daß er mit schwerer Erkältung gesungen haben soll und sich hat ansagen lassen. Vor diesem Hintergrund fand ich seine Leistung beachtlich, und ohne Experte zu sein, glaube ich schon, daß er ohne Erkältung ein beeindruckender Posa ist, er hat mir aber auch so, mit gewissen Einschränkungen im Musikalischen wirklich gut gefallen.
Im Duett mit Filippo gibt er alles, und müht sich nach Kräften, Robert Lloyd auf Touren zu bringen, der aber für meinen Geschmack etwas blaß bleibt. Allerdings bin ich da vermutlich etwas unfair, da „mein“ Filippo Ferrucio Furlanetto ist, und mit dem ist er, zumindest an diesem Abend, nicht zu vergleichen.
Zu diesem Filippo ist für mich leider nicht mehr zu sagen, als daß er gut aber nicht spektakulär singt und mich weder zu Begeisterungsstürmen hingerissen noch auf voller Linie enttäuscht hätte.


Die musikalischen Schwächen vor allem der Sopranistin sind enorm, so enorm, daß ich nur annehmen kann, daß sie an dem Abend akut indisponiert war, denn es wäre sträflich und verantwortungslos, eine Sängerin die bereits seit längerem derart massive Probleme hat auf die Bühne zu schicken. Darstellerisch macht Amanda Roocroft als Elisabetta ihre Sache jedoch gut, auch wenn sie definitiv wesentlich älter ist als Carlos und mehr wie seine Mutter wirkt denn wie seine unerreichbare große Liebe.
Darstellerisch ist sie in der Auseinsandersetzung Carlos-Elisabetta wirklich gut, sie schreit ihm ins Gesicht „Bring es zuende, ermorde deinen Vater und führe mit blutigen Händen deine Mutter zum Altar“. Wenn man Oper als MusikTHEATER sieht, packt die Szene schon sehr, auch wenn ihr Part musikalisch wg. der Stimmprobleme nicht immer ein Genuß ist, aber ich habe sie vorher und nachher nie gehört und will wie gesagt annehmen, daß sie entweder einen ganz unglücklichen Abend erwischt, oder zum Zeitpunkt der Aufführung eine heftige Krise durchlitten hat, und in beiden Fällen soll man gnädig mit Künstlern umgehen...

Violeta Urmanas Eboli ist der pure Luxus, sie singt wunderschön, allerdings wird der positive musikalische Eindruck leider ganz erheblich durch den einzigen wirklichen Schwachpunkt der Regie gestört, zu dem ich jetzt kommen muß: die Kostüme. Sie sind fürchterlich und sorgen für manch unfreiwillig komische Situation.
Villazon und Urmana hat es in dieser Hinsicht besonders übel erwischt: er in Weiß mit Beinkleidern die ein Spötter einmal böse aber zutreffend als „Windelhosen“ bezeichnet hat, sie in furchterregendes Schwarz geschnürt, den Busen hochgezurrt.
Wie mein Gatte seinerzeit vor dem Fernseher sagte: „Kein Wunder daß er nicht will, die verfrühstückt ihn ja ohne mit der Wimper zu zucken! Da hätte ich auch Angst...“
Das muntere junge Mädchen das Schiller uns schildert ist diese Eboli nicht, und das ist nicht ihre Schuld. Für die Kostüme gibt es wirklich Punktabzug...

Zum Schluß der Titelheld: jeder weiß es, die Rolle war für Rolando Villazón schon immer gefährlich, dennoch bin ich froh, daß er sie in zwei Produktionen gesungen hat. Dieser Amsterdamer Carlos hat m.E. sehr, sehr viel mit Schillers Vorlage zu tun, die ich hier in zwei Auszügen zitieren möchte:

Ich hasse meinen Vater nicht - Doch Schauer
Und Missethäters-Bangigkeit ergreifen
Bei diesem fürchterlichen Namen mich.
Kann ich dafür, wenn eine knechtische
Erziehung schon in meinem jungen Herzen
Der Liebe zarten Keim zertrat? Sechs Jahre
Hatt' ich gelebt, als mir zum ersten Mal
Der Fürchterliche, der wie sie mir sagten,
Mein Vater war, vor Augen kam. Es war
An einem Morgen, wo er stehnden Fußes
Vier Bluturtheile unterschrieb. Nach diesem
Sah ich ihn nur, wenn mir für ein Vergehn
Bestrafung angekündigt ward. - O Gott!
Hier fühl' ich, daß ich bitter werde - Weg -
Weg, weg von dieser Stelle!


Warum von tausend Vätern
Just eben diesen Vater mir? Und ihm
Just diesen Sohn von tausend bessern Söhnen?
Zwei unverträglichere Gegentheile
Fand die Natur in ihrem Umkreis nicht.
Wie mochte sie die beiden letzten Enden
Des menschlichen Geschlechtes - mich und ihn -
Durch ein so heilig Band zusammen zwingen?
Furchtbares Loos! Warum mußt' es geschehn?
Warum zwei Menschen, die sich ewig meiden,
In einem Wunsche schrecklich sich begegnen?
Hier, Roderich, siehst du zwei feindliche
Gestirne, die im ganzen Lauf der Zeiten
Ein einzig Mal in scheitelrechter Bahn
Zerschmetternd sich berühren, dann auf immer
Und ewig aus einander fliehn.


Und mehr muß man eigentlich auch gar nicht sagen, denn genau so ist dieser Carlos: ein schwer traumatisierter junger Mann, der nach wie vor in Angst vor seinem Vater lebt, sich dennoch schmerzhaft nach seiner Liebe oder zumindest Anerkennung sehnt und für den die unglückliche Liebe zu Elisabetta nur ein Teilaspekt seiner Tragödie (und vermutlich nicht einmal der wichtigste) ist.
Wie sehr die Angst und das Entsetzen Carlos’ Leben beherrschen, wird in Posas Sterbeszene deutlich: als Posa tödlich getroffen zu Boden sinkt, verkriecht sich Carlos wie ein entsetztes Kind in eine Ecke seiner Zelle und einige unerträgliche Momente lang fürchtet man, er ließe seinen Freund alleine sterben. Dieser Carlos leidet an soviel mehr als nur daran, daß er das Mädchen nicht bekommt und bewegt sich permanent am psychischen Abgrund. Das hat Decker grandios herausgearbeitet, das hat Villazón musikalisch und szenisch kongenial umgesetzt und das lasse ich mir auch von keinem Stimmenexperten und Schlaumeier dieser Welt ausreden, Stimmkrise hin, selber schuld her.


Hier ein Auszug: Rolando Villazón und Dwayne Croft im Schwurduett.

http://www.youtube.com/watch?v=u9-mqXrQRVM

... link (2 Kommentare)   ... comment


Freitag, 22. Oktober 2010
DVD-Tips Le nozze di Figaro
Analog zum Opernführer hier nun meine beiden Lieblings-DVDs der Oper „Le nozze di Figaro“:



Eine Produktion des Royal Opera House Covent Garden von 2006
Besetzung:

Figaro: Erwin Schrott
Susanna: Miah Persson
Graf Almaviva: Gerald Finley
Gräfin Almaviva: Dorothea Röschmann
Cherubino: Rinat Shaham
Dirigent: Antonio Pappano
Regie: David McVicar

Erwin Schrott in der Titelrolle. Schrott ist m.E. kein Jahrhundertsänger, stimmlich kann er mit den ganz großen Interpreten dieser Rolle vielleicht nicht völlig mithalten (dazu fehlen ihm das sinnliche Timbre eines Cesare Siepi oder Ildebrando D’Arcangelo und die feinen Nuancierungen eines Bryn Terfel),
aber wenn alles passt ist er ein guter Sänger. Bei dieser Aufführung im Jahr 2006 (London, Covent Garden) muß es besonders gut gepasst haben, denn Schrotti ist als Figaro umwerfend.
Ich schätze ganz besonders seine Art mit den Rezitativen umzugehen: dieser Sprechgesang kann leicht langweilig wirken, dabei ist er doch so wichtig für den Fortgang der Handlung. Schrott bringt seine Rezitative in einer grandiosen Mischung aus Gesang und Sprache, und so fließend und natürlich, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, sich so miteinander zu unterhalten. Er trägt dadurch entschieden dazu bei, die große Komik dieses Werkes zu transportieren, die bei anderen (eigentlich größeren) Sängern manchmal etwas verloren zu gehen droht.
Dazu hat er das Glück, in einer ungeheuren temporeichen, von viel Situationskomik geprägten Inszenierung singen zu dürfen, und durchweg gute Bühnenpartner zu haben.
Zu nennen wäre da zum Beispiel Gerald Finley der mich als Almaviva nicht nur stimmlich sondern auch darstellerisch überzeugt und der im Laufe der Handlung immer wütender und aufgebrachter wird, schwimmen ihm doch dank Figaros Einmischung sämtliche erotischen Felle davon. Er ist Figaros idealer Gegenspieler, wie er jung, attraktiv und zu allem entschlossen um sein Ziel zu erreichen.
Hier stehen sich nicht nur Herr und Diener, sondern auch zwei potente Männer gegenüber, die um eine Frau kämpfen.
Die Produktion sprüht vor witzigen Ideen und ich habe selten bei einer Figaro-Aufführung soviel gelacht wie bei dieser. Darüber hinaus aber gibt es auch berührend poetische Augenblicke. Am schönsten vielleicht jener Moment kurz vor Beginn von Barbarinas kleiner Arie im letzen Akt: wir sehen auf der Bühne eine alte Frau mit verstörtem Gesicht, dann setzt die Musik ein, aus dem Schnürboden regnet es Rosen, das Gesicht der alten Frau entspannt sich, wird heiter und sie zum jungen Mädchen während Barbarina zu singen beginnt. Wer weiß, vielleicht eine Anspielung auf eine andere Zeit, auf ein anderes junges Mädchen vor der Hochzeit und einen anderen Grafen Almaviva der auf seinem Recht bestanden hat...
Auch die Frauen sind mit Miah Persson (Susanna) und Dorothea Röschmann (Gräfin) hervorragend besetzt. Rinat Shaham singt und spielt einen hinreißenden Cherubino und überhaupt ist diese Aufführung eine der gelungensten die ich kenne und gerade „Figaro-Anfängern“ dringend ans Herz lege.



Besetzung:
Figaro: Bryn Terfel
Susanna: Alison Hagley
Graf Almaviva: Rodney Gilfry
Gräfin Almaviva: Hillevi Martinpelto
Cherubino: Pamela Helen Stephen
Dirigent: John Eliot Gardiner
Queen Elizabeth Hall, London , 1993

Anders als die Aufführung, von 2006 spielt diese Inszenierung tatsächlich in vorrevolutionären Zeiten und immer wieder schimmert durch, daß man hier einen Tanz auf dem Vulkan tanzt. So etwa, wenn Figaro bei seinem Lied vom Tänzchen des Herrn Grafen dessen hölzernen Perückenkopf ergreift und am künstlichen Haarschopf in die Luft hält. Das Publikum weiß, was Figaro nicht ahnen kann: was nämlich diese Geste knapp 15 Jahre später einmal bedeuten wird. Dennoch wird es nie unangemessen beklemmend oder kommt der revolutionäre Holzhammer zum Einsatz, es ist eben doch alles Komödie. Umso stärker wirken die wenigen Momente in denen die grause Wirklichkeit um die Ecke blickt.

Szenisch wurde hier ein sehr malerischer Figaro auf die Bretter gebracht: das Bühnenbild erinnert je nach Beleuchtung an alte Scherenschnitte, im Bühnenhintergrund ist die ganze Zeit der Garten zu sehen in dem der letzte Akt spielen wird, die Innenräume werden durch verstellbare Wände und wenige Requisiten angedeutet. Musikalisch gibt es zu dieser Aufführung nur eines zu sagen: sie gehört nach wie vor zum besten was derzeit auf Video, DVD und auch CD zu haben ist.
Rodney Gilfry ist ein großartiger Almaviva, der hervorragend singt, hervorragend spielt und ganz unverschämt gut aussieht. Er verkörpert den despotischen Ehemann auf Abwegen ebenso glaubhaft wie den reuigen Sünder. „Contessa perdono...“ habe ich nie so innig gehört, er meint das in diesem Moment vollkommen ernst, egal wie schwach er morgen oder in drei Monaten wieder werden wird.

Alison Hagley ist eine sehr gute, robuste und resolute Susanna, der man anmerkt, daß sie ihr Geld mit körperlicher Arbeit verdient (und nicht nur ein Theater-Kammerkätzchen ist) und in deren Augen manchmal die nackte Angst steht, da sie weiß, daß der Herr Graf durchaus Macht über sie und Figaro hat die er, wenn es er denn wirklich drauf anlegen würde, missbrauchen könnte. Sie versteht es wunderbar, die zwei Seiten von Susannas Charakter musikalisch und darstellerisch glaubhaft zu machen: das muntere Mädchen, das Spaß an Scherz und Verkleidung hat, und die liebende junge Frau, die um ihr Glück kämpft, sich nach Frieden sehnt und doch die Krallen ausfahren kann wenn sie sich verraten glaubt.

Hillevi Martinpelto gefällt mir als Gräfin ebenso gut wie Dorothea Röschmann und wie sie singt und spielt sie die traurige Gattin in der immer noch etwas von dem lebhaften Mädchen, das sie vor wenigen Jahren noch war schlummert, zum Entzücken. Ganz besonders hübsch auch die Szene, in der die vernachlässigte Ehefrau sich ein bisschen in Cherubino verguckt und sich einen Spaß daraus macht, ihn zu verwirren, bis ER schließlich SIE verwirrt.

Zum Schluß Bryn Terfel als Titelheld:
Wie ist der Mann genial. Er ist ein mitreißender Figaro, der nicht ganz so lebhaft über die Bühne springt wie Erwin Schrott und weniger testosterongesättigt und machohaft auftritt, und doch (oder gerade deshalb?) um einiges bedrohlicher wirkt, und der im Übrigen alles mit seiner wunderbaren Stimme ausdrückt. Er ist nicht nur ein aufmüpfiger und kampfbereiter, sondern auch ein besorgter Figaro, dem es, bei aller Komik, nicht nur darum geht, einen Rivalen aus dem Feld zu schlagen, sondern auch, die Frau zu beschützen die er liebt. Überhaupt sind die beiden ein rührendes Liebespaar, wie sie entschlossen sind, sich ihr Glück Gott und der Welt zum Trotz zu erringen.

Ein Kritiker schrieb über diese Aufführung:

"Perhaps this is the near-perfect Figaro we’ve all been waiting for..."
Für mich ist er das ohne Frage.

Da die Aufführung in jeder Hinsicht überzeugt, lohnt auch die Anschaffung der Gesamtaufnahme, die zwar teuer, aber (mal abgesehen von der historischen Aufnahme mit Cesare Siepi von 1954 unter Erich Kleiber), nahezu unerreicht ist.
Bryn Terfel hat vor einiger Zeit verlauten lassen, daß er den Figaro möglicherweise nie mehr singen werde. Das ist mehr als bedauerlich, gut daß es dieses Dokument gibt.
Kleiner Wehrmutstropfen: das Video enthält leider keiner Untertitel, die bei dieser Oper aber erforderlich wären, es sei denn, man verfügt über sehr gute Italienischkenntnisse. Daher wäre die DVD dem Video vorzuziehen.

... link (2 Kommentare)   ... comment