Montag, 19. August 2013
In eigener Sache und etwas vom fliegenden Holländer
Es ist einige Monate her, daß ich diesen Blog versehentloch und nahezu komplett geschreddert habe.
Mittlerweile hat sich mein Zorn über meine Doofheit gelegt und ich habe beschlossen, einen zweiten Versuch zu wagen, hier an dieser Stelle.
Oder, wie sie in Venedig nach dem Brand und vor dem Wiederaufbau von La Fenice versprochen haben: "wo sie war und wie sie war".

Ich beginne mit einem Bericht über eien großartige aufführung der Oper "Der fliegende Holländer" de ich vor einigen Wochen in Wuppertal erlebt habe:
Opernhaus Wuppertal, 21.7.2013
Besetzung:

Holländer: Kay Stiefermann
Daland: Michael Tews
Senta: Turid Karlsen
Mary: Miriam Ritter
Steuermann: Christian Sturm

Chor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen
Sinfonieorchester Wuppertal
Leitung: Florian Frannek
Regie: Jakob Peters-Messer


Vor einigen Wochen ging die aktuelle Spielzeit der Wuppertaler Bühnen mit der Geschichte vom bleichen Manne zu Ende. Es war zugleich die letzte Aufführung einer in der Spielzeit 2011/2012 umjubelten Produktion. Ich habe sie damals verpasst und war daher sehr froh, dass sie noch einmal für zwei Abende auf die Bretter kam.
Obwohl ich die Oper oft auf CD gehört habe, war es mein erster Holländer im Opernhaus, Wagner wird hier vergleichsweise selten gespielt, so dass sich nie die Gelegenheit ergab, ich war also gespannt auf die Aufführung.
Um es gleich zu Beginn zu sagen: ich bin immer noch hin und weg.
Doch der Reihe nach.
Die Ouvertüre wird so gespielt, wie sich das gehört: bei geschlossenem Vorhang.
Als der sich dann schließlich hebt gibt er den Blick frei auf eine Spielfläche, für die der komplette Bühnenraum samt Hinterbühne eingesetzt wird. Schwarze Vorhänge im hinteren Bühnenbereich verkleinern die Spielfläche bei Bedarf. Dalands Schiff wird durch eine eiserne Leiter am rechten Bühnenrand angedeutet sowie durch einige kräftige Taue an denen die Herren des Opernchores sich abarbeiten. Die Nebelmaschine hat ordentlich zu tun und sorgt für Nordseeatmosphäre. Die Zeit der Handlung ist aufgrund der vergleichsweise zeitlosen Kostüme nicht recht einzuordnen und könnte ebenso heute wie vor 100 Jahren spielen.
Auf der Linken Bühnenseite sehen wir eine Deckenkonstruktion bestehend aus mehreren Scheinwerfern, sie deuten das Segel des Geisterschiffs an. Es ist in diesem Fall nicht blutrot, sondern blendend hell und der Effekt bei der Ankunft des Holländers ist sehr eindrucksvoll: gleißende aber unwirkliche Helligkeit statt düster-romantischem Halbdunkel.
Der Steuermann singt sein Lied in einen modernen Schlafsack gehüllt und hat mir sehr gut gefallen. Daland wirkt mit seinem weißen Backenbart und der Kapitänskluft ein bisschen wie Käptn Iglo, da wurde für meinen Geschmack etwas zu sehr in die Klischeekiste gegriffen, aber er hat gut gesungen und Dalands kindische Gier angesichts der Schätze die der Holländer vor ihm ausbreitet gut rübergebracht. Fast gemahnte sein Gesichtsausdruck ein bisschen an Gollum und ich hätte mich nicht gewundert ihn „mein Schatz“ flüstern zu hören...

Auftritt des Stars des Abends: Kay Stiefermann. Ich gebe zu, dass ich vor allem seinetwegen in die Oper gegangen bin, denn die Besprechungen waren nach der Premiere zum Teil hymnisch und die wenigen Ausschnitte der regionalen Fernsehberichterstattung überaus faszinierend. Ich wurde nicht enttäuscht: dieser Holländer ist allein schon optisch ein wahrer Augenöffner: groß und schlank, wehender langer Mantel (natürlich in schwarz was ihm die Möglichkeit gibt, immer wieder mit den Bühnenvorhängen zu verschmelzen), schwarzes, enges Beinkleid, tragische Blässe im Gesicht, gewagte Punkfrisur mit halbrasiertem Schädel und Tätowierungen, dunkle Augengläser die immer dann zum Einsatz kommen wenn der Holländer nicht will, dass sein wahres Wesen entdeckt wird, ruhige, gemessene Bewegungen, angesichts Dalands Gier ein zynischer Ausdruck im Gesicht. Dazu und vor allem eine wirklich großartige Stimme und absolute Textverständlichkeit. Wow.
Erste Male sollen ja sehr prägend sein, ein künftiger Holländer wird sich also gewaltig anstrengen müssen, um diesen für mich Ersten zu überbieten.

Sentas Spinnstube ist hier ein Nähzirkel: junge und nicht mehr ganz so junge Damen arbeiten an ihren Brautkleidern und –schleiern. Alle nähen fleißig außer Senta, dich mich nur zum Teil überzeugen konnte. Nicht mehr ganz jung und nicht mehr ganz schlank entspricht sie leider zu sehr dem Klischee der blondbezopfen Wagnerheroine und kann das nur bedingt durch ihre Stimme ausgleichen, die in den Höhen manchmal etwas schrill war auch die Textverständlichkeit ließ einige Wünsche offen. Gespielt hat sie das schwärmerisch-neurotische Mädchen allerdings sehr gut und der Moment in dem sie und der Holländer einander zum erstenmal begegnen und gefühlte drei Stunden kein Wort miteinander wechseln sondern sich nur ansehen war großartig.
Des Holländers Bild hängt im übrigen nicht an der Wand sondern wird durch einen hellen Lichtfleck auf der Erde symbolisiert.Es ist der gleiche Lichtfleck, der im ersten Akt erscheint und in den sich der Holländer stellt wenn er von seinem gepriesnen Engel Gottes singt.

Erik singt gut und spielt hölzern. Ich an Sentas Stelle hätte mich auch für eine romantische Erlösungstat für den Holländer statt für eine Ehe mit Erik entschieden, mehr ist zu ihm nicht zu sagen. Vielleicht noch dies: im Duett zwischen ihm und Senta versteht man leider mal wieder kein Wort, was mehr als nur bedauerlich ist.

Auftritt des zweiten Stars des Abends: der Wuppertaler Opernchor. Ich werde nicht müde, diesen Chor, der mich bisher wann immer und wo immer ich ihn gehört habe begeistert hat, zu rühmen und zu preisen.
„Steuermann laß die Wacht“ räumt gewaltig und mit einem Chor der nicht nur singen sondern auch spielen kann räumt er noch mehr. Als die Männer die Mannschaft des Geisterschiffs auffordern beim fröhlichen Saufen mitzuhalten und dieser schließlich antwortet, wird es auf der Bühne finster und im Zuschauerraum blendend hell. Die Geisterstimmen antworten von irgendwo hinter mir und ich drehe mich doch wirklich und wahrhaftig um um zu sehen, wo sie denn ist, des Holländers Geistermannschaft.
Sie hat sich in geschickt angebrachten Lautsprechern versteckt und die paar Takte Musik wurden offenbar vor der Vorstellung aufgenommen, aber das habe ich erst verstanden als man es mir hinterher erzählt hat. Ein Trick, aber ein sehr wirkungsvoller.
Als Senta sich am Ende in die Tiefe stürzt (einen wahnwitzigen Augenblick lang habe ich gedacht, sie würde den Sprung in den Orchestergraben wagen) erlöschen die grellen Scheinwerfer die das Segel des Geisterschiffes bilden, zu den letzten Takten der Musik und während der Vorhang fällt gehen Senta Holländer auf der Hinterbühne unendlich langsam aufeinander zu. Ihre Vereinigung im Tod sehen wir nicht mehr.
Fazit: ich war und bin begeistert , trotz ein oder zwei Schwächen war es eine grandiose Aufführung und ich bin froh, in einem Land zu leben, in dem solch wunderbaren Vorstellungen (noch...) nicht nur in drei oder vier Metropolen zu erleben sind.
Chapeau und vielen Dank!

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Montag, 14. März 2011
DVD-Tip G. Verdi Don Carlo
Obwohl ich vor ein paar Wochen bereits eine andere Inszenierung dieser Oper empfohlen habe, muß ich mich heute nochmal Giuseppe Verdis "Don Carlo" widtmen und empfehle eine zweite DVD dieses Werkes, das zu meinen absoluten Lieblingsopern gehört.
Don Carlos ist m.E. eine Männeroper, trotz der Liebesgeschichte um Carlos und die unglückliche Königin Elisabetta geht es vor allem um die Beziehungen der Männer zu- und untereinander: die Beziehung zwischen Don Carlo, dem Kronprinzen, und König Filippo, seinem Vater. Eine Beziehung, die geprägt ist von Angst, Verachtung und versteckter Sehnsucht. Die Beziehung zwischen Posa und Carlos, die neben einer persönlichen Freundschaft gemeinsame politische Ziele und Ansichten verbindet, die Beziehung zwischen Posa und Filippo, die Beziehung zwischen Filippo und seinem Großinquisitor. Daher steht und fällt jede Don Carlo-Aufführung mit der Besetzung dieser vier männlichen Rollen, und das ist auch der Grund, warum ich die folgende DVD empfehle:



Besetzung:

Don Carlo: Rolando Villazón
Rodrigo Marquis di Posa: Simon Keenlyside
Filippo: Ferruccio Furlanetto
Elisabetta: Marina Poplavskaya
Eboli: Sonia Ganassi
Dir.: Antonio Pappano
Covent Garden, 2008

Nein, die Inszenierung kann es nicht mit Willi Deckers genialem Don Carlo aufnehmen, den ich hier vor einigen Wochen empfohlen habe, nicht mal in Ansätzen. Und ja: man hört Villazón die Grenzpartie und die Stimmprobleme manchmal erschreckend deutlich an (und mehr als 2004 in Amsterdam), dennoch glaube ich nicht, daß man die männlichen Hauptrollen passender und vor allem rollendeckender besetzen kann als 2008 in London.
Gespielt wurde die fünfaktige italienische Fassung, also mit Fontainebleau-Akt.
Die Inszenierung ist schön anzusehen, aber relativ unspektakulär, die Regie beschränkt sich vor allem auf die unglückliche Liebe von Carlos und Elisabetta, das Eingangs erwähnte Beziehungsgeflecht der männlichen Figuren bleibt weitgehend außen vor. Daß die Aufführung dennoch packt liegt einzig daran, daß ALLE Sänger wirklich gute Darsteller sind und aus der Inszenierung herausholen, was herauszuholen ist.

Rolando Villazón ist für mich, allen Problemen zum Trotz, DER Don Carlo,er hatte alles, was es für diese Rolle braucht: die Musikalität, die düstere, melancholische Ausstrahlung, eine der schönsten Stimmen die je einem Tenor vom lieben Gott in die Kehle gelegt wurde, und eine fast schon unheimliche Rollenidentifikation. Leider kam die Rolle für ihn vermutlich zu früh, und manchmal werden die Probleme geradezu schmerzhaft deutlich. Am Carlos haben sich schon andere die Zähne ausgebissen...und doch...
In einer Besprechung zu einem Liederabend des ewigen Sorgenkindes schrieb der Kritiker vor ein paar Tagen"Welch ein Sänger wäre er geworden, wenn er sich mehr Zeit zum Reifen gelassen hätte". Das kann man nur mit Blut und Tränen unterschreiben...

Es ist lange her, daß ich einen Posa derart ergreifend habe sterben sehen wie Simon Keenlyside, er ist ein hervorragenderPosa, und seine ruhige, manchmal fast etwas spröde Bühnenausstrahlung bildet den idealen Gegenpol zum schwärmerisch-überschwänglichen Carlos von Rolando Villazón. Dieser Carlos baucht jemanden der ihn führt und leitet, und dieser Jemand ist Posa, den Keenlyside m.E. perfekt verkörpert.

Für Ferrucio Furlanettos überragende Leistung fehlen mir buchstäblich die Worte, und weil das so ist, will ich hier nun die Musik zu Wort kommen lassen.

Das Schwurduett Carlo-Posa im 2. Bild:
http://www.youtube.com/watch?v=LN4UKs_EH38

Filippos Arie "Ella giammai m'amo". Man KANN das nicht besser singen und spielen:
http://www.youtube.com/watch?v=pz-3WIQN2Vo

Posas Tod Teil 1:
http://www.youtube.com/watch?v=NUfS-obs1Dc
Posas Tod Teil 2:
http://www.youtube.com/watch?v=K2YPmIoFYbs



Die Damen mögen mir verzeihen, daß ich ihnen hier sowenig Beachtung gechenkt habe, aber die Stärke dieser Auffühurng liegt für moch eindeutig in den drei männlichen Protagonisten.
Marina Poplavskaya als Elisabetta singt um Lichtjahre besser als Amanda Roocroft in Amsterdam und ist optisch eine absolut glaubhafte junge Königin und wirklich gute Darstellerin. Sonia Ganassi ist eine gut singende, aber doch ziemlich harmlose Eboli, kein Vergleich zu dem Vulkan Agnes Baltsa, bei der man absolut verstehen konnte, warum Posa sie für so gefährlich hält, daß er ihr kurzzeitig nach dem Leben trachtet.
Damit zumindest Elisabetta zu ihrem Recht kommt und weil es so schön ist, hier noch ein Ausschnitt aus dem Fontainebleau-Akt, einer der wenigen glücklichen Momente für Held und Heldin:
http://www.youtube.com/watch?v=yke66Bm23zI

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Donnerstag, 17. Februar 2011
DVD-Tip: J. Massenet -Thais
Wieder einmal ein DVD-Tip, heute geht es um die Oper „Thais“ von Jules Massenet. Ich habe die Vorstellung vor geraumer Zeit in der Liveübertragung aus New York gesehen, und bin inzwischen glückliche Besitzerin der DVD. Mir hat die Aufführung damals sehr gut gefallen, daher will ich die DVD hier vorstellen:


Die Besetzung:
Athanael: Thomas Hampson
Thais: Renee Fleming
Nicias: Michael Schade

Damals im Kino ging gleich zu Beginn der Übertragung ein Raunen durch das Publikum, denn der Gastgeber des Abends war niemand anderes als der Altmeister persönlich:Placido Domingo hat die Interviews in den Pausen geführt und die Oper vorgestellt.
"Thais" wurde an der MET zum letztenmal 1978 gespielt, mit der amerikanischen Sopranistin Beverly Sills in der Titelrolle. Ich kenne sie als meine erste Schallplatten-Gilda.
Da es sehr schwierig zu sein scheint, die beiden Hauptrollen zu besetzen, wird die Oper generell selten gespielt. Bekannt ist vor allem die berühmte "Meditation", ein orchestrales Zwischenspiel, das oft und gerne außerhalb des Opernhauses in Konzert und Gottesdienst aufgeführt wird.
Die Handlung:
Ägypten im 4. Jahrhundert n.C.
Der Mönch Athanael gehört einer urchristlichen Religionsgemeinschaft an und führt mit seinen Glaubensbrüdern ein asketisches Leben in der Wüste.
Er ist besorgt, da er glaubt, daß Alexandria, seine Heimatstadt, in Sünde versinkt. Urheberin ist für ihn die Kurtisane, Tänzerin und Venuspriesterin Thais.
Nach einer Vision glaubt er sich berufen, Thais zum Christentum zu bekehren und zieht gen Alexandria.
Er trifft Thais im Hause seines alten Schulfreundes Nicias, dessen (bezahlte) Geliebte sie zur Zeit ist. Auf einem Fest im Hause Nicias' macht Thais sich zunächst lustig über den Fanatiker, der ihr ihre Sündhaftigkeit und die Leere ihres Lebens ins Gesicht schleudert.
Es gelingt Athanael nach einigen Bemühungen schließlich, Thais zur Umkehr zu bewegen. Sie flieht mit ihm aus Alexandria. Nach einem Marsch durch die Wüste bringt er sie in ein Kloster, in dem Thais für ihre Sünden büßen und fortan leben will.
Zurück bei seinen Mitbrüdern findet Athanael keine Ruhe: er, der seine Körperlichkeit, seine Sexualität immer verleugnet, ja verdammt hat, wird von Visionen gefoltert: er kann Thais Schönheit, ihre erotische Ausstrahlung nicht vergessen.
Als er erfährt, daß Thais nach drei Monaten unentwegter Buße, ohne Schlaf und Nahrung, in ihrem Kloster im Sterben liegt, eilt er fort um sie zu retten. Der sterbenden Thais sagt er, daß er sich geirrt habe, es gäbe keine göttliche Liebe, keinen Himmel, kein ewiges Leben. Das einzige was zähle, sei die irdische Liebe, jene Liebe, mit der Thais ihr Leben verbracht habe. Thais kann ihn im Fieberwahn nicht mehr verstehen, spricht von der gemeinsamen Reise durch die Wüste, von dem, was Athanael für sie getan hat. In ihren letzten Augenblicken sieht sie den Himmel offen. Mit den Worten "Ich sehe...Gott..." stirbt sie, während Athanael gebrochen, verzweifelt, gescheitert, zurückbleibt.
Mir hat die Aufführung damals sehr gut gefallen. Die Inszenierung war nicht übermäßig originell, aber große Regieexperimente sind aus der MET in aller Regel sowieso nicht zu erwarten, und das kann ja auch sein Gutes haben...

Renee Fleming war großartig, sie hat in einem kurzen Gespräch vor Beginn gesagt, das "Thais" eine von etwa vier Rollen ist, bei denen sie das Gefühl hat, daß sie wie für sie geschrieben sind, so perfekt passe sie zu ihrer Stimme.
In der Tat fand ich sie als Thaiswunerbar, ich denke, die Rolle verlangt alles von ihr, was sie stimmlich zu bieten hat: glitzernder, "glamouröser"" Gesang bei ihrem ersten Auftritt, große emotionale Ausbrüche in jener Szene, in der sich ihre Verwandlung zu vollziehen beginnt, berückende Pianopassagen im 2.Teil und am Ende der Oper. Sie hat mir gleich zu Beginn sehr gut gefallen, hat sich aber im Laufe des Abends noch enorm gesteigert. Auch optisch war sie absolut glaubhaft: während sie für eine blutjunge Violetta Valery m. E. eigentlich schon ein bißchen zu reif ist (und das Drama dadurch einen anderen Akzent bekommt als beabsichtigt), ist sie als erfahrene, reife, herausfordernd sinnliche und in allen erotischen Künsten bewanderte Kurtisane umwerfend und man gut verstehen, daß Athanael ihr Bild nicht aus dem Kopf bekommt.

Michael Schade als Athanaels Schulfreund Nicias hat mir gut gefallen: er hat so einfühlsam und schön gesungen wie ich das von ihm gewohnt bin, außerdem mag ich es, daß er seine Rollen oft mit einem Hauch Ironie versieht, so auch hier. Jedoch klang er in den Höhen manchmal ein wenig grell, das habe ich sonst von ihm noch nicht gehört. Im Übrigen habe ich den Eindruck, daß ihm Mozart mehr liegt als Massenet, dennoch: auch er war wirklich hörenswert.

Schade hin, Fleming her, der Star des Abends war für mich Thomas Hampson, allerdings weiß ich, daß nicht wenige Kenner der französischen Oper seinen Gesang unangemessen dramatisch fanden und der Ansicht sind, daß er dem französischen Stil nicht wirklich gerecht geworden ist, allerdings werfen das viele Leute vielen Sängern vor, und es ist die Frage. ob das immer so ganz ernst zu nehmen ist...

Ich kann das jedenfalls nicht wirklich beurteilen und nur sagen, daß ich seine (musikalische und szenische) Interpretation ungeheuer beeindruckend fand. Athanael ist in ca. 95 Prozent aller Szenen auf der Bühne anwesend, davon singt er in Hampsons Interpretation die meiste Zeit laut bis sehr laut und enorm kraftvoll. Nicht, weil Hampson das nicht anders könnte, sondern weil Atahanel ein lauter Mensch ist: ein religiöser Eiferer, ein Fanatiker (Hampson nennt ihn sehr zu Recht "Fundamentalist"), und wie alle Fundamentalisten muß er permantent brüllen um die Menschen von dem zu überzeugen, was er für den rechten Weg, die einzig gültige Wahrheit hält -und um seine eigenen inneren Stimmen und Dämonen niederzuschreien. Es mag sein, daß das musikalische problematisch und stimmlich gefährlich ist, ich fand es allerdings sehr stimmig und glaubhaft ihn so darzustellen. Es gibt für Athanael nur sehr wenige lyrische Momente, einen davon während er mit Thais durch die Wüste wandert und er der völlig Erschöpften Wasser und Obst bringt, um sie zu stärken. Hier gibt es einen leiseren Moment, in dem Athanael sich von einer weicheren, mitfühlenden Seite zeigt.
Einen ähnlichen Augenblick gibt es vorher, als er im Gespräch mit Thais, die panische Angst vor dem Tod und der Vernichtung hat, dieser erzählt, was Gott zu bieten hat, wenn sie Ihm folge: ewiges Leben. Es gibt sie also, Athanaels leise, weiche Seite, aber er läßt sie die meiste Zeit über nicht zu Wort kommen. Es ist wirklich phänomenal wie Hampson diese enorm dramatische, kraftvolle und laute Rolle bewältigt, ohne sie zu zerbrüllen. Zumindest sehe ich das so, aber wie gesagt: ich weiß durchaus, daß manche seine Interpretation problematisch fanden.
Auch darstellerisch hat er mich überzeugt: man merkt diesem Athanael auch körperlich an, daß er ständig unter Strom steht, sich vermutlich nicht mal im Schlaf wirklich entspannt.
Ich will ja nicht geschmacklos werden, aber wenn einer einen Besuch bei einer erfahrenen Kurtisane dringend nötig hätte (und das schon seit Jahren), dann er...
In der Kinoübertragung hat er sich in einer Pause
die Zeit für ein kurzes Interview mit Domingo genommen und unter anderem den traumschönen Satz gesagt, daß er besonders die Charaktere zu spielen liebe, die stets glauben, Gott in der Hand, im Kopf und im Herzen zu tragen, und die doch alles negieren, was seine Schöpfung ausmacht und was Er geschaffen hat. Genauso einer ist Athanael.

Ein besonderer Schwachpunkt der Inszenierung ist leider, leider ausgerechnet die Sterbeszene. Musikalisch ist die Szene wunderschön und Renee Fleming stirbt durchaus ergreifend, aber ein wenig seltsam ist es schon, daß eine Frau die sich drei Monate lang zu Tode gefastet und kaum geschlafen hat wie eine Heiligenstatue auf einem Thron sitzt, eine Designerrobe trägt und von langem, glänzendem, frisch geföhntem Engelshaar umflossen wird:

Das sieht hübsch aus, gibt aber definitiv Abzüge in der B-Note.
Im Originallibretto ist Thais in dieser Szene nackt, es ist die Nacktheit der wiedergefundenen Unschuld, die sich völlig von Thais’ früherer Zurschaustellung ihres Körpers unterscheidet, und es ist jammerschade, daß dies in der Regie nicht zumindest angedeutet wurde

Ich bin sehr froh, daß ich die Gelegenheit genutzt habe, diese selten gespielte Oper zu sehen freue mich, daß die Aufführung jetzt auch auf DVD zu haben ist. Erwähnt werden sollte noch der junge Konzertmeister des Orchesters, der die Solovioline in der "Meditation" traumhaft schön gespielt hat und dafür am Schluß auch vor den Vorhang durfte.

Meditation:
http://www.youtube.com/watch?v=zhFcBGQLehw
Interessant ist, daß Renee Fleming gesagt hat., daß sich während dieser Mediation, einer Szene also, in der Thais nicht auf der Bühne anwesend und der Vorhang geschlossen ist, ihre Wandlung vollzieht und der Solist in der Lage sein müsse, dies in seinem Spiel auszudrücken.
Dis-moi que je suis belle:
http://www.youtube.com/watch?v=WVaQGtkTPHM
Thais' große Arie in der sie verzweifelt versucht, sich gegen die neuen Gefühle zu wehren: sie fleht ihren Speigel an, ihr zu sagen daß sie schön ist, daß sie immer schön sein und niemals altern wird. Und doch sind da ihre inneren Stimmen, ihre Ängste und (wieder einmal) ihre Dämonen: "Thais! Auch du wirst alt. Thais! Auch du vergehst!".

Es sei übrigens darauf hingewiesen, daß auch die großartige Eva Mei eine herausragende "Thais" singt, die ich allerdings bisher nur aus Ausschnitten von Youtube kenne:
http://www.youtube.com/watch?v=hT3P32wpz54be

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